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Gestern hatte ich eine wichtige Prüfung. Danach bin ich nach Hause gegangen und war sofort wieder in der alten Rolle:
Ich zog meine feine Weste aus, die ich ausnahmsweise über die Bluse gezogen hatte, habe mich um meinen kranken Mann und meinen kleinen Sohn gekümmert, Brot geholt, ein bißchen aufgeräumt, mit meiner Kollegin telefoniert um mich auf den neusten Stand zu bringen, Frühstücksbox für den Kindergarten am nächsten Tag gerichtet, Wäsche gemacht, Tisch abgeräumt, das Kind versorgt und ins Bett gebracht und wieder nach meinem Mann gesehen.
Schon erstaunlich wie schnell man von so einer Konzentrationsblase, in die man sich vor wichtigen Terminen begibt, gleich wieder heraus kommt – kommen muss, sobald der Alltag einen einholt.
Und täglich grüßt das Hamsterrad.
Heute Morgen dann das übliche Spiel:
Versuchen, ein tief schlummerndes Kleinkind zu wecken, das zwar prinzipiell sehr gerne in den Kindergarten geht, aber nicht um die Uhrzeit zu der Mami (und der Kindergarten) das planen. Also mit dem Kind gekuschelt, gerungen, gegurrt, gelockt, alles mit einer Engelsgeduld, um dann beim Öffnen der Haustür festzustellen dass es in Strömen regnet (wir laufen zum Kindergarten).
Also ab durch den Regen in den Kindergarten, mit einer Hand am Buggy, mit der anderen am Regenschirm, Kind verabschiedet, wieder zurück, Buggy im Trockenen zuhausse abgestellt und wieder los zum Bäcker – um dem Mann Brezeln zu holen, weil das vermutlich das Einzige ist was er später essen kann. Und dann, beim Bäcker, bemerkte jemand zum ersten Mal an diesem Tag mein trauriges Gesicht und reagierte darauf.
Statt mich direkt zu fragen wahrte die Verkäuferin eine respektvolle Distanz, wie der Verkaufstresen zwischen uns, und fragte indirekt: „Ich hab heut so´n richtig blöden Tag. Den hab ich selten, meist bin ich gut gelaunt, aber manchmal kommt alles zusammen, und dann ist an dem Tag auch nix mehr zu retten. Und heute hab ich so einen Tag.“
Ich sah sie an.
Ich, beruflich Psychologin und Kommunikationstrainerin, war dieser Frau hinter dem Bäckertresen gerade so unendlich dankbar, dass sie in diesem Moment der Kommunikationsprofi war. Sie hatte mir eine Brücke gebaut und dadurch musste ich einfach nur 2 Worte sagen: „Ich auch.“
Damit gab sie mir Gelegenheit, kurz einfach nur Mensch zu sein. Ein Mensch, der einfach einen Scheißtag hat.
Morgen geht die Sonne wieder auf
Ein Geschäftsführer, der eine Zeit lang auch mein direkter Vorgesetzter war, brachte diesen Spruch immer. Er sagte ihn auf Mitarbeiterversammlungen und in Meetings, vor den Vorständen unserer Holding und im Einzelgespräch. Es kam nicht immer gut an.
Er hatte oft polarisierende Sprüche auf Lager, die manchmal gut gemeint, aber nicht immer gut gemacht waren, aber diesem konnte ich tatsächlich etwas abgewinnen. Denn wenn Menschen sowieso schon stimmungsmäßig unten sind, dann helfen oft keine komplexen Erklärungen und Theorien, sondern nur einfache Wahrheiten: „Morgen geht die Sonne wieder auf“.
Und so ging ich in Resonanz zu meiner Bäckereifachverkäuferin und sagte zu ihr: „Aber wissen Sie was die gute Nachricht für uns beide ist: Auch dieser Scheißtag geht vorbei.“ – und sie lächelte.